Am Ende angekommen

Zwei Atomkraftwerke werden demontiert

Buch und RegieReinhard Schneider
KameraBernhard Schönherr
FotosFred Kraus
SchnittBernhard Schönherr
Länge29 Minuten
AuftraggeberDeutsche Welle TV
Jahr1995

Auf den ersten Blick könnte man sie für Patienten einer Kurklinik oder Nervenheilanstalt halten. In blauen Kitteln und Badelatschen schlappen Männer durch weißgetünchte Korridore und greifen im Vorübergehen in die Fächer einer Akkuladestation. Was sie den Fächern entnehmen, sind kleine graue Geräte – Dosimeter – auf deren Digitalanzeigen unterschiedliche Strahlenwerte des Vortages abzulesen sind. Anschließend entledigen sich die Männer ihrer Kittel und warten nackt bis auf die Unterhosen vor einer Pförtnerloge auf das Nullen ihrer Dosimeter. Zusammen mit der Gerätenummer wird jeder in eine Personalliste eingetragen. Danach betreten sie einzeln oder paarweise eine gläserne Schleuse, die den sogenannten ‘Kontrollbereich’ von der Außenwelt abschirmt. Drinnen geht die Umkleideprozedur weiter. Bis auf die Haut darf an diesem Ort niemand etwas eigenes mitnehmen. Am Ende landen die Männer in neuer Unterwäsche in einer großen Halle an deren einer Wand Namensschlilder, Schuhfächer sowie eine Leiste mit hunderten von gelben Overalls und Helmen angebracht ist. Die Männer schlüpfen in ihre Arbeitsanzüge, tauschen die Badelatschen gegen feste Schuhe ein und greifen nach ihren Helmen.

In der Nähe von Ulm wird seit elf Jahren der Block A des Kernkraftwerk Gundremmingen abgebaut. Es ist der weltweit leistungsstärkste Siedewasserreaktor, der bisher, wie es in der lngenieurssprache heißt, rückgebaut wird. Laut Plan der Betreibergesellschaft soll das gesamte strahlende Material der Anlage bis zum Jahre 2000 verschwunden sein.

Neben Gundremmingen wird zur Zeit mit dem Abbau eines zweiten Reaktors in Kahl am Main begonnen. Es war das erste stromproduzierende Kernkraftwerk der Bundesrepublik, das unter der Bezeichnung ‘Versuchsatomkraftwerk Kahl’ 1961 ans Netz ging. Bisher wurde in der Bundesrepublik nur ein Kernkraftwerk in Niederaichbach beseitigt, das jedoch aufgrund seiner für europäische Verhältnisse exotischen Technik und einer Laufzeit von lediglich 18 Tagen mit den beiden jetzigen Projekten kaum zu vergleichen ist.